Ein Schwalbenflug über das Bereich der Südbahn (1)
Peter Rosegger und seine Eisenbahnreisen
2023 ist ein Jahr der Jubiläen. Wir feiern nicht nur 25 Jahre UNESCO Welterbe Semmeringeisenbahn, sondern auch 100 Jahre Stadternennung Mürzzuschlags und den 180sten Geburtstag von Peter Rosegger. Den ersten RAILBlog des Jahres 2023 möchte ich unserem großen steirischen Heimatdichter Peter Rosegger widmen.
Mir das Liebste auf der Welt aber liegt an der Südbahn. Die Waldheimat, mein Graz, das große Wien. Die Stränge dieser Bahn gehen hinauf gegen die Gletscherwelt, sie gehen hinab ans Meer; sie durchziehen die allerschönsten Länder. Und diese Länder mit ihren Naturherrlichkeiten, mit ihren eigentümlichen Völkerschaften, hat die Südbahn mir zum Geschenke gemacht. (2)
In vielen Erzählungen und Berichten Peter Rosegger (1843 – 1918) liefern Eisenbahnreisen den nötigen Stoff. Er sagte selbst, dass nicht Bücher und Professoren sein Schaffen vordergründig anregten, sondern dass es die Eisenbahn war. In vielen seiner Erzählungen beschreibt Peter Rosegger die Idylle seiner Kindheit in der Waldheimat. Doch die Welt stand damals im Umbruch. Zu Beginn seines Lebens steckte das Verkehrsmittel Eisenbahn noch in den Kinderschuhen, am Ende stand bereits der aufkommende Auto- und Flugverkehr.
Man kann nicht dagegen sein, dass Neues erstrebt wird […] aber man sei vorsichtig in der Zerstörung des Alten. (3)
Peter Rosegger stand dem Fortschritt und technischen Innovationen sehr offen gegenüber, erkannte ihren Wert und ihre Bedeutung für die Zukunft. Er gehörte jedoch vor allem zu jenen Schriftstellern, die sehr stark mit der Heimat verbunden waren und damit auch dem überlieferten Wertsystem treu blieben. So finden sich in seinen Werken widersprüchlichste Äußerungen zu diesem Thema. Das neue Verkehrsmittel Eisenbahn und den damit verbundenen Auswirkungen, wie etwa Tourismus und Reisen, betrachtete er hin und wieder mit einer gewissen Skepsis. Die Problematik des Tourismus - besonders für die Steiermark - formulierte Peter Rosegger bereits 1894 im Heimgarten auf das Treffendste. 1876 gründete Rosegger diese Monatszeitschrift, die zum Forum seiner literarischen und journalistischen Arbeit wurde.
Seit einiger Zeit liegt den Steirern die Frage der Förderung des Fremdenverkehrs am Herzen. […] meine Schriften aus und über Steiermark haben viele Fremde ins Land gelockt. […] Wenn wir´s dabei aber in allem den Tirolern und Schweizern nachmachen wollen, so wird´s schief gehen, unsere Verhältnisse sind ganz andere. Wir müssen vor allem auf der Karte uns selber suchen und sehen wo wir sind und was wir haben. An jenen seltenen wildgroßartigen Naturschönheiten […] kann die Steiermark trotz aller Verkehrsmittel, Hoteleinrichtungen und Verschönerungsvereine mit Tirol oder der Schweiz nicht wetteifern. Unser Land ist zwar mindestens so schön als die genannten herrlichen Alpenländer, doch in einem anderen Sinne schön; diese Schönheit ist aber allgemeiner, weniger effectvoll, weniger modern, und da hilft alles nichts. (4)
Peter Rosegger war beruflich und privat ständig auf Reisen. Mehr als 200 Vorlesereisen führten ihn durch Europa. Immer mit der Eisenbahn.
Ich gehöre nicht zu solchen, die das Eisenbahnwesen für den Tod der Reisepoesie halten...
[…] Seit dem Sommer 1888 besitze ich für alle Strecken Österreich-Ungarns der Südbahn freie Fahrt. Jeder Zug ohne Ausnahme steht mir zu Gebote, und in jedem die Auswahl der Classe. Ich genieße den Vorzug bedingungslos […] Vier große Völkerschaften durchstreift die Südbahn, und die kleineren sind nicht zu zählen. Und das alles ist mein! (5)
Als Reminiszenz an die beiden weiteren Jubiläen des heurigen Jahres noch zwei Zitate Roseggers über die Semmeringbahn und über Mürzzuschlag!
Unser lieber Semmering
Eines Tages bin ich von Wien aus mit einem Norddeutschen gefahren. Er wollte nach dem Süden. Er hatte ein Gelaß für sich genommen, um unterwegs schlafen zu können. „Schlafen? Über den Semmering schlafen?“ fragte ich fast beleidigt. Darauf er: „Pah, Berge! Solche habe ich auf meinen Reisen genug gesehen.“ Über die weite Ebene hin hat er hoffentlich gut geschlafen. Als hernach der Zug hinter Gloggnitz ins Schwarzatal einbog, wo im Hintergrunde die Wände der Rax leuchteten, da war mein Norddeutscher am Fenster zu sehen. […] Unversehens hatte der Hochgebirgscharakter sich entwickelt, so daß mein Reisegenosse sich mit der Hand über die Stirne fuhr: „Man wird beinahe berauscht." (6)
Mürzzuschlag
Das liebe Volk sagt, der Name Mürzzuschlag komme davon her, weil in jener Gegend die Mirzln zuschlagen. Freilich mag es wohl dort in den Tälern und auf den Bergen schneidige Dirndln geben, und zwar vom „besten Schlag“. Aber du lieber Gott, wenn man jeden Ort, wo die Mirzln zuschlagen, Mürzzuschlag nennen sollte, da stünden und lägen im Lande weit mehr Mürzzuschlags als etwa Kirchdorfs und Mareins und St. Johanns zusammen. In Wahrheit aber gibt es auf der ganzen Welt nur ein einziges Mürzzuschlag; es ist auch nicht wahrscheinlich, dass von Auswanderern drüben in Amerika ein Neu-Mürzzuschlag gegründet werde, weil von Mürzzuschlag keiner auswandert. Es ist daheim zu schön...
[…] Wer von „draußen“ kommt: Mürzzuschlag ist der Schlüssel zur Steiermark, sowohl für die obere, die mittlere als auch die untere Lade. (7)
Anmerkungen:
(1) Der Titel des Aufsatzes entspricht einer von Peter Rosegger verfassten Geschichte, die tatsächlich mit „Ein Schwalbenflug über das(!) Bereich der Südbahn“ überschrieben ist. Peter ROSEGGER: Ein Schwalbenflug über das(!) Bereich der Südbahn, in: K. k. priv. Südbahn-Gesellschaft (Hg.): Die Südbahn und ihr Verkehrsgebiet in Oesterreich-Ungarn, Wien-Brünn-Leipzig 1900, VI – VII.
(2) Peter ROSEGGER: Das Dampfross mein Pegasus. 1888 bis in neueste Zeit, in: Mein Weltleben. Erinnerungen eines Siebzigjährigen, in: Gesammelte Werke, Bd. 40, Leipzig 1916, 211.
(3) Peter ROSEGGER: Das wilde G´said, in: Das Sünderglöckel, in: Gesammelte Werke, Bd. 28, Leipzig 1915, 283.
(4) Peter ROSEGGER: Zur Hebung des Fremdenverkehrs in Steiermark, in: Peter ROSEGGER (Hg.): Heimgarten. Eine Monatsschrift, Graz 1894, 228.
(5) Peter ROSEGGER: Das Dampfross mein Pegasus. 212 – 213.
(6) Peter ROSEGGER: Unser lieber Semmering. Eine Festbetrachtung, in: Landesverbande für Fremdenverkehr in Niederösterreich (Hg.): Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Semmeringbahn, Wien 1904, 1 – 21.
(7) Peter ROSEGGER: Mürzzuschlag, in: Spaziergänge in der Heimat, Graz 1894.